Sehet, so habe ich die Welt geliebt

Der Teppich unter meinen Füßen fühlt sich gut an. Jedes Geräusch wird von seinem Grau aufgesogen. Die noch graueren Punkte verlaufen in akkuraten Linien – ein exaktes Chaos. Auch ich will es heute extra exakt machen. Hab meine Schuhe schon beim Eingang abgestellt und, weil ich schon dabei war, die Socken auch gleich. Will hier nichts durcheinander bringen. Deswegen ziehe ich auch gleich meinen Mantel aus und hänge ihn an die Garderobe. Hut, Schal, Handschuhe. Draußen ist es kalt, hier drinnen zu warm. Über meinem weißen Hemd trage ich einen grauen Pullover, mit noch graueren Punkten. Was für ein Zufall. Sorgfältig lege ich ihn auf den Teppich. Kein Punkt soll mehr dem Zufall überlassen sein. Als ich anfange mein Hemd aufzuknöpfen, begegnen mir hektische Augenpaare. Gerne würde ich abends neben ihrem Spiegel stehen und ihnen erklären wie sie entstanden ist, die Zornesfalte, während sie mit ihren kalten Fingern viel zu spät darauf herumdrücken. Ärgerlich – obwohl ich mein Hemd heute Morgen frisch gebügelt hatte, ist es jetzt ganz zerknittert. Trotzdem würde ich es gerne aufhängen. Es gibt keine Stühle. Die Tür ist eigentlich keine Tür, sondern eher ein Laufkarussell für sehr ängstliche Menschen, die sich auch mal was trauen. Mit Deko in der Mitte, die so angemessen ist, wie das Tempo der Wände, die sich drumherum drehten. Bloß nicht anfassen, denn dann steht alles still, außer der Ärger, der sich Trauenden, der sich wieder eingräbt in die Zornesfalte und wie das ausgeht wissen wir ja. Kurzerhand breite ich mein Hemd über dem blank-polierten Holzpferd in der Kinderecke aus. Schwer vorstellbar, dass etwas so Perfektes von kleinen, klebrigen, verschwitzten Kinderhänden berührt wurde. Wahrscheinlich würde auch dann alles stillstehen. Und jeder würde die Luft anhalten, bis die Langeweile und Stumpfsinnigkeit eines blank-polierten Holzpferdes über das Kind gesiegt hatten. Ich löste den Gürtel aus der Schnalle, öffnete den Knopf und den Reißverschluss meiner schwarzen Stoffhose. Da ich den Gürtel drin gelassen habe, lässt sich die Hose nur schwer ordentlich zusammenlegen. Ich gebe mein Bestes und lege die Hose gleich neben einen der Automaten. „Herzlich Willkommen.“ Er lächelt mich an. Es ist mir ein bisschen unangenehm, als ich mein Unterhemd und meine Unterhose auf seine Tastatur lege. Um ihn ein bisschen zu beruhigen, drücke ich die grüne „Bestätigen“-Taste. Dann stelle ich mich hinten an. Es sind noch zwei vor mir. Eine ältere Dame wird gerade von dem Herrn mit adretter Frisur und adrettem Lächeln gefragt, ob sie noch einen Kaffee oder ein Glas Wasser trinken möchte. Leider kann ich ihn nicht verstehen, da ich zu weit weg stehe. Schließlich bin ich an der Reihe. „Sehet,“ sagt das Lächeln hinter dem Schalter „so habe ich die Welt geliebt.“

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