Meine lieben, besorgten Mitmenschen,
neulich haben wir uns getroffen. Im Supermarkt vor dem Kühlregal, im Zahnarztwartezimmer, auf dem Friedhof beim Blumengießen. Wir sind nicht direkt befreundet, aber doch so weit miteinander bekannt, dass es nicht ausreichen würde nur zu grüßen. Also hoffen wir beide auf keine Antwort und fragen: „Und wie geht’s? Geht’s gut?“. Die Gefahr besteht nun, neben einer Antwort, dass diese Frage zum Gruß gehörig gehalten wird. Wir wollen aber so viel mehr erreichen. Wir wollen alles wissen – über dich, über mich, ob es ein „Uns“ geben kann. Oder ob eine entspannte Grüß-Bekanntschaft für uns beide nicht besser wäre. Wir stellen die Königsfrage: „Was machst du eigentlich so?“. Damit ist nicht gemeint, dass man gerade vor dem Kühlregal im Supermarkt steht, im Zahnarztwartezimmer wartet und auf dem Friedhof die Blumen gießt.[1] Damit ist gemeint, was man leistet, um es sich leisten zu können. „Eigentlich“, um diesen ganz eigennützigen Aspekt der Frage mit dem vermeintlich verniedlichenden „lich“ zu tarnen. „So“, weil wir den Satz ja nicht mit „Punkt, Punkt, Punkt.“ beenden können…
Oft leite ich dann die Antwort mit einem Flashback ein „Ich habe ja mein Ref abgebrochen“ – zu viel mehr komme ich an dieser Stelle schon meistens nicht mehr, da bei meinem Gegenüber nun nur noch zwei Emotionen vorherrschend sind: Entsetzen und Sensationsgier. „OH GOTT! UND JETZT!“. Mir ist natürlich bewusst, dass ich mit diesem Opener eine Steilvorlage geliefert habe, die nicht einem einfachen „Ich arbeite jetzt bei der Post, auf dem Markt, Nachhilfe, diesdas.“ abgespeist werden kann. Doch leider kann ich auch nichts anderes sagen. Und dementsprechend enttäuscht (und enttäuschend) sind die Reaktionen.
„Ah, oh, und wie lange möchtest du das machen?“ (denkt: „Vielleicht kann ich doch noch was Sensationelles herauskitzeln, hat sie nicht noch das Heilmittel gegen Krebs gefunden? Oder noch besser vielleicht hat sie Krebs?“)
„Ah, oh, und was sagen deine Eltern dazu?“ (denkt: „Persönliches Drama, von den Eltern verstoßen, allein, nicht nur das Glas leer trinkend, sondern auch essend, während mir ein wohliger Schauer über den Rücken läuft über mein Alles-in-Butter-Leben.“)
Und dann gibt es noch die unsensiblen Reaktionen: „Hättest du das nicht noch fertig machen können?“, „Krass, fünf Jahre studiert – für nichts!“, „Und das hast du nicht schon früher gemerkt, dass das nichts für dich ist?“, „Was hast du nochmal studiert? („Deutsch und Theo.“) Oh je! Was gibt es da noch für Berufe außer Lehrer? Vielleicht in einer Bücherei?“, „Bist du bescheuert? Weißt du was du als Lehrer hättest verdienen können, gerade im Beamtenstatus, gerade im Hinblick auf Kinder und Elternzeit. Und dann erst die Pension!“, „Dann hast du jetzt ja Zeit. Kannst du mal meinen Werbeflyer, Abschlussarbeit, Programmheft, Hochzeitszeitung, Leserbrief, Hausarbeit, Bewerbung Korrektur lesen?“, „Du Arme!“[2]
Irgendwie geht man dann auseinander. Weil die Kinder im Auto warten („Entschuldigung, aber war das eine bewusste Entscheidung?“). Weil man noch kurzfristig etwas Korrektur lesen muss („Ja, klar, kein Problem!“). Weil das Eis verläuft („Sorry, Sonja.“).
Und hier nun meine Antwort auf eure Frage: „Mir geht es gut. Es gibt Tage, an denen stehe ich lieber auf, was beinhaltet, dass es auch Tage gibt, an denen ich nicht so gerne aufstehe wie an denen Tage, an denen ich lieber aufstehe. Mir geht es gut. Sowohl physisch (ich mache gerne Sport und ernähre mich gesund), als auch psychisch (in meinem Wohlfühlkreis umgeben mich Menschen, die mir Stärke und Halt in immer genau den Dosen geben, in denen ich sie brauche).“
Und falls ihr nun verunsichert seid, falls ihr nicht wisst, was wir dann beim nächsten Treffen reden sollen: Vielleicht einfach mal über das, was uns glücklich macht, über Gemeinsamkeiten und Unterschiede, die uns bereichern können, die sogar unterhaltsam sein können. Denn wir wollen doch die Gegenwart genießen und nicht nur ertragen. Denn was die Zukunft bringt, können wir nur abwarten. Und das am besten nicht vor dem Kühlregal.
Mit freundlichen Grüßen,
eure m.
[1] Um zu verdeutlichen, dass man eben nicht „jetzt“ meint wird ganz gerne auch ein „jetzt“ zwischen „eigentlich“ und „so“ eingebaut.
[2] Ja, ich habe einen Hang zur Übertreibung und nein, hiervon ist nichts erfunden.
meine liebe M,
das sind gute nachrichten.
und wenn Du einfach Lieberworteals?
ein berührter leser