Auf jedes Ei einen großen Löffel Mehl.

Auf jedes Ei einen großen Löffel Mehl. Auf dem Markt hatte sie gesagt „Ach es darf ruhig etwas mehr sein. Ich bekomme Besuch.“ Dazu Steinchampignon. Dazu Salat, Eissalat. Mit einem Lächeln rührte sie die Soße zusammen. „Ach wie schön. Von Ihrer Tochter?“ Und die Tischdecke machte sie lieber weg. „Mama, bei dir ist alles so steif und einengend.“ Dafür noch frische Blumen? „Ja, und von meiner Enkelin. Sie ist jetzt schon…“ Langsam musste sie sich beeilen. Sie hatten zwar keine Zeit ausgemacht. Wollte aber mit allem fertig sein, wenn sie endlich kamen. Dazu hätte sie zu Frau Kramer in den Blumenladen gemusst. Doch Frau Kramer und sie sind schon lang keine Freundinnen mehr. Sie entschied sich dagegen. Außerdem blühte gerade ihre Amaryllis. Das sollte genügen. „Sieben.“ Und Schokopudding sollte es natürlich geben. Sie machte den Ofen an, um die Pfannkuchen warm zu halten. Der Tisch war schon gedeckt. Da entschied sie sich doch nochmal gegen das Sonntagsgeschirr und deckte nochmal neu ein mit dem alten Geschirr aus dem Küchenschrank. Die rote Grütze war natürlich ohne Himbeeren. Oder waren es Johannesbeeren? Ratlos schaute sie in den dampfenden Topf. Sie hatte den Hörer schon in der Hand. Da konnte sie schon die Stimme hören „Mama, bitte, ruf doch nicht ständig an. Schwarze Johannesbeeren, das weißt du doch!“. Schnell legte sie das Telefon weg. Ihren Freundinnen vom Kegelklub hatte sie schon letzte Woche abgesagt. „Also bis in zwei Wochen dann. Nächste Woche kommt ja meine Tochter zu Besuch.“ „Ja, das hattest du schon gesagt.“ Müde setzte sie sich auf den Stuhl in der Küche. Den Champignons hatte sie gerade nochmal Wasser nachgegossen. Den Blick auf die Uhr gerichtet. Das war wirklich nichts Neues, dass ihre Tochter zu spät kam. Eigentlich war sie ganz froh heute nicht Kegeln gehen zu müssen. Kegeln zählte sie nun wirklich nicht zu ihren Leidenschaften. Aber für den Kirchenchor war ihre Stimme einfach zu schwach. Und sonst gab es nicht viel was sie machen konnte. „Damit du mal aus dem Haus kommst.“ Die Seniorengymnastik war ihr nun wirklich zu albern. In ihrem Alter. Sie machte den Ofen auf und riss sich ein kleines Stück vom obersten Pfannkuchen weg. Das Fett, das nun an ihren Fingerspitzen war, verteilte sie noch ganz in ihren Handflächen. Vielleicht sollte sie die Pilze nochmal abschmecken? Vielleicht nochmal etwas Salz? Hatte es geklingelt? Sie hatte sich schon halb erhoben. Da fiel ihr ein, dass ihre Tochter ja einen Schlüssel hat. Zur Vorsicht ging sie nachsehen. Niemand – wie zu erwarten war. Sie machte die Herdplatte, auf der die Pilze standen, ganz aus. Die sind ja auch schnell wieder warm. Dieser angeknabberte Pfannkuchen. Lieber isst sie ihn noch ganz. Irgendwann nahm sie den Stuhl, stellte ihn unter die Uhr und hängte die Uhr ab. Dann nahm sie die Batterien raus und hängte die Uhr wieder an ihren Platz. „Mama, deine Uhr ist ja stehen geblieben. Hast du das schon gemerkt? Hast du noch Batterien im Haus?“ Zufrieden schaute sie jetzt von ihrem Platz aus auf die Uhr. Das lästige Ticken hinterließ schon fast eine kleine Leere. Doch das Surren des Backofens erfüllte beruhigend den Raum. Ihr Blick schweifte über den gedeckten Tisch, über die gefüllte Wasser- und Saftflasche, über die drei Stühle, die darauf zu warten schienen, dass man sich setzte. Sie schaute aus dem Fenster, doch die Tanne vor ihrem Fenster war verschwunden, ebenso die Vögel, die Wolken, der Himmel. Nichts war mehr da. Nur noch das schwache Licht des Backofens erfüllte den Raum. Sie hörte das Lachen ihrer Enkelin, ihrer Tochter. Kommt nur herein. Schön, dass ihr da seid. Setzt euch. Es gibt gleich Essen. Nimm doch noch mal einen. Es hat genug. Ach, aus dem Rest mach ich Flädle. Ja, dann kommt ihr einfach wieder. Morgen? Oh Mama, du hast ja noch den Backofen an. In der Küche war es nun wohlig warm. Alles schmerzte, als sie sich von ihrem Stuhl in der Küche erhob und den Backofen ausmachte. Nun saß sie allein in der dunklen Küche. Die Pfannkuchen im Backofen hatte sie schon längst vergessen.

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2 Gedanken zu „Auf jedes Ei einen großen Löffel Mehl.“

  1. deine Worte lassen mich die Situation riechen, schmecken, hören und fühlen. Ein großes Gefühlsgemenge aus Heimat, Geborgenheit und Trauer.
    Unglaublich einnehmend.

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